Buchstaben, die sich zu Worten wie Kladderadatsch, akquirieren oder Stichpimpulibockforcelorum formen, sind schon manchmal schwer zu schreiben und noch schwerer zu verstehen. Auch unsere Kommasetzung ist durchaus missverständlich. „Nimm ein Gummibärchen“ ist nicht unbedingt dasselbe wie „Nimm ein Gummi, Bärchen“. Und „Wir essen jetzt, Opa.“ wird im Urwald von Borneo vermutlich ohne Komma geschrieben „Wir essen jetzt Opa“.
Aber Zahlen sind genauso verwirrend. Oder sogar noch verwirrender. Das fing schon in der Schule an. Mathe. Wurzelziehen oder Wurzelrechnung. Braucht doch kein Mensch. Außer ein Zahnarzt natürlich. Erst das Ziehen, dann die Rechnung. Multiplikator 3,5, versteht sich.
Kurvendiskussionen waren bei uns Jungs hoch im Kurs, allerdings nicht in Mathe. Bei Germanys next Topmodel ist Kurvendiskussion kein Thema. Vielleicht, weil das Auge mitrechnet.
Ehe wir Menschen alles durcheinander brachten, hat Mutter Natur die Zahlen großartig, logisch und verständlich eingerichtet. Wasser zum Beispiel. Gefriert bei 0 Grad, kocht bei 100 Grad. Leicht zu merken, wenn man nicht gerade auf dem Mount Everest sich einen Tee kochen will. Oder die Werte des Geldes. 100 Pfennig eine Mark, 100 Cent ein Euro. In ganz Europa. Fast. Bei den Engländern gefriert Wasser bei minus 32 Grad und kocht bei 212 Grad; ein Pfund Sterling waren wahlweise 4 Crown, 8 Half Crown, 10 Florin, 20 Schilling, 60 Groat, 240 Penny oder 960 Farthing. Kann man nur froh sein, dass sie in London bei den letzten Olympischen Spielen tatsächlich 100 Meter und nicht 100 Yards gelaufen sind. Hätte sonst vielleicht gar kein Läufer aus Jamaika gewonnen.
Es ist schön, dass Tennis erfunden wurde. Nicht so schön ist, dass der Erfinder ein Engländer war. Wegen dieser abstrusen Zählweise. Außer beim Dart, da wird ab 501 rückwärts gezählt (aber dreimal dürfen Sie raten, wer Dart erfunden hat), beginnt jede vernünftige Sportart bei eins. Außer unsere. Wir springen durch die Grundrechenarten. Und zwar völlig wahllos und unlogisch. Es beginnt mit Addition (0+15), dann Multiplikation (15×2),es folgt Division + Addition (30/3+30). So kommt ein Spieler – frühestens nach drei, spätestens nach fünf gespielten Punkten) auf recht unerklärliche 40. Ab hier ist Schluss mit zählen. Wahrscheinlich sind die Grundrechenarten ausgeschöpft. Ab jetzt gibt es nur noch Vorteil. Mal für den Rückschläger, mal für den Aufschläger. „Nachteil Aufschläger“ gibt es nicht. Vermutlich, weil Tennis so ein positives Spiel ist. Erkennt man auch an fliegenden Schlägern und nicht jugendfreien Wortschöpfungen auf manchem Tennisplatz.
Wir Deutschen kürzen gerne ab. Vermutlich wegen der Zeitersparnis. Statt 30:0 zählen wir dreinull oder statt 40:15 heißt es vierfünf. Diese Zählweise wiederum macht einen Engländer auf der anderen Seite des Platzes wahnsinnig. Ich halte das für ausgleichende Gerechtigkeit und zähle gegen einen von der Insel immer so.
Was auch schwer zu verstehen ist: Ein Spiel hat man gewonnen, wenn man nach Einstand zwei Ballwechsel hintereinander gewonnen hat. Ein Spiel hat man auch gewonnen, wenn man zwei Sätze gewonnen hat. (Ich spreche jetzt vom Tennis und nicht von dem Mann, der seiner Frau beim Frühstück zu widersprechen gewagt hat). Wie soll das ein Nichttennisspieler verstehen? Und warum man manchmal ein Spiel verliert, in dem man mehr Spiele als der Gegner für sich entscheiden konnte, versteht oft auch der Tennisspieler nicht, dem das widerfahren ist.
Und ist ein „love game“ wirklich ein zu Null-Spiel? Neulich bei einer Clubfete ging aus Versehen auf dem Platz neben dem Clubheim die Flutlichtanlage an: da habe ich tatsächlich auf dem Platz ein love game gesehen. Sogar als Mixed.Auf einer Walze!
Haben Sie übrigens schon mal ernsthaft über die Maße eines Tennisplatzes nachgedacht? 78 Fuß lang und 27 Fuß breit. Ohne Rücksicht auf die Schuhgröße. Ob Größe 38 oder 47 macht doch im Leben einen Unterschied. Gott sei Dank hat der DTB das vernünftigerweise umgerechnet und eingedeutscht. Sonst dürften oder müssten die Damen wohl auf kleineren Plätzen spielen. Im Zeichen der Gendergerechtigkeit für die Zukunft nicht einmal auszuschließen. Aber bitte nicht mir die Schuld geben.
Zurück zur Natur.
In Nordamerikas treten Zikaden auf, die sich genau alle 13 oder 17 Jahre massenhaft vermehren – danach leben sie als Larven wieder 12 oder 16 Jahre unter der Erde. Durch den Zyklus von 13 Jahren müssen sie nur noch Fressfeinde fürchten, die jedes Jahr oder alle 13 Jahre auftreten. Heimische Fichten bilden nur alle 11 Jahre massenhaft Zapfen und erschweren so Vögeln und Eichhörnchen, sich auf diesen Zyklus einzustellen. Wer hat den Zikaden und den Fichten Primzahlen beigebracht?
Der Mensch sicher nicht. Wir haben so tolle Dinge erfunden wie eine 100% – oder gar 200%-Steigung. Für Enthusiasten: 100% ist ein Steigungswinkel von 45°, 200% ein Winkel von rund 63,4°. Muss man nicht wirklich wissen. Wir nennen unsere Zahlen ja auch rational, obwohl beim Auto- oder Schuhkauf von ratio keine Rede sein kann.
Und was mich bisweilen nicht schlafen lässt: Ist 1 größer 0,99 Periode? Ich habe es mir von einem Mathematiker erklären lassen. Er rechnete:
Vier neuntel ist vier durch neun dividiert, also 0,444444…. Ohne Ende. Fünf neuntel ist fünf durch neun dividiert, also 0,555555…. Auch ohne Ende. Bei einer Addition erhält man 0,999999…. Immer noch ohne Ende. Addiert man andererseits 4/9 mit 5/9, so erhält man 9/9, also eins. Kann man doch seltsam finden, oder?
Wie das bei den Engländern in Fuß funktionieren soll, kann und will ich mir gar nicht vorstellen.
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