Briefwechsel zwischen einem Tennisspieler und einem Ruderer

Mein Club hat eine Tennis- und eine Ruderabteilung. Ruderer und Tennisspieler wissen viel voneinander. Aber manchmal bleiben doch Fragen offen, wie der folgende Briefwechsel zeigt.

Lieber Ruderfreund!

Ich habe mich schlau gemacht. Rudern ist die Fortbewegung eines Wasserfahrzeuges durch menschliche Kraft. Rudern ist für mich ein toller Sport, aber auch sehr verwirrend. Weil ich mit euren Begriffen so durcheinander gerate. Den Bediener eines Ruders nennt ihr Rudergänger, obwohl der weder geht noch rudert. Der  steuert ein Schiff. Den ihr Steuermann nennt, steuert nicht, sondern ist für die Navigation des Schiffes verantwortlich. Ihr Ruderer rudert ja auch gar nicht. Was ihr ins Wasser taucht, ist entweder ein Skull, dann skullt ihr,  oder ein Riemen, dann pullt ihr.  Wer wirklich sein Ruder (remo)  benutzt und damit ein Boot (gondola)  bewegt und auch noch dazu singt  : das ist ein Gondoliere. Es kommt nicht von ungefähr, dass Regatta wörtlich übersetzt Gondelwettfahrt heißt.  Aber einen Gondoliere habe ich bei uns im Club noch nicht gesehen. Obwohl ihr singen könnt. Sehr laut sogar. Aber „ O sole mio“ singt nur der städtische Bademeister   beim Einlassen des Salzwassers ins Schwimmbecken. Euer Sport ist auch nicht logisch: ihr alle sitzt rückwärts im Boot und könnt das Ziel gar nicht sehen. Gut, ihr fahrt ohnehin nur geradeaus. Aber  warum brauchen dann manche von euch  einen Steuermann?  Und warum nennt ihr ein Boot Achter , obwohl neun drin sitzen?  Euren Hochzeitseiner finde ich aus dem Leben gegriffen: der Mann rudert, die Frau steuert. Aber den hättet ihr auch Galeere nennen können. Wegen des Sklaven, der rudert.  Und eigen seid ihr auch: warum werde ich mit sofortiger Wirkung aus dem Club ausgeschlossen, wenn ich einen von euch als Paddler anspreche?
Was wir Tennisspieler   von euch sofort übernehmen sollten: das Wiegen vor jedem Einsatz und die Fähigkeit, dass acht Mann in einem Boot tatsächlich an einem Strang ziehen, um das Ziel zu erreichen.

Dein Tennisfreund

Lieber Tennisfreund!

Auch ich habe mich schlau gemacht. Tennis ist ein Rückschlagspiel, bei dem ein Ball über ein Netz geschubst, bebaggert, gelöffelt oder geschaufelt wird. Tennis  ist für mich ein toller Sport, aber auch sehr verwirrend, weil auch bei euch begriffsmäßig einiges unverständlich ist.  Ein Einzel spielt man zu zweit, ein Doppel zu viert.  Mehr dürfen nicht auf einen Platz, obwohl genügend Raum wäre. Die Zählweise eures Spiels hat ein Mathematiker erfunden :   15, dann 15 mal 2, dann 15mal 2  plus 1/3. Ab dann zählt ihr nicht mehr. Sind euch die Grundrechenarten ausgegangen?  Trifft ein Ball einen im Spielfeld liegenden Ball, wird weitergespielt, wenn der richtige Ball zurück gespielt wird. Dabei sehen eure Bälle alle genau gleich aus und sind nicht voneinander zu unterscheiden.  Und warum braucht ihr für euer Spiel einen Linienrichter, einen Netzrichter, einen Fußfehlerrichter, einen Schiedsrichter und einen Oberschiedsrichter? Und eine Weltrangliste, eine Deutsche Rangliste, eine Verbandsrangliste  und  23 Leistungsklassen? Und 17 verschiedene Altersklassen? Auf uns Ruderer wirkt es mitunter auch etwas merkwürdig, wenn wir euch mit Lupe und  Elektronenmikroskop sehen, wie ihr Linienbälle überprüft.  Und was du mir wirklich erklären musst: die „Ständige Einrichtung“? Platz,  Netz und Linien wären logisch, sind es aber ausdrücklich nicht. Aber ich als Zuschauer. Laut eurem Regelwerk bin ich, wenn ich euch zuschaue, eine „Ständige Einrichtung“. Wer hat denn das erfunden?  Noch in keiner Zeitung habe ich gelesen:   „Beim letzten Spiel des Tennisclubs schauten mehr als 300 Ständige Einrichtungen zu“.  Ist ja noch unlogischer als Rückwärtsrudern. Auch ich als Ruderer würde aus eurer Sportart einiges übernehmen.  Die Schlabberhosen sofort. Da sieht man nichts. Bei uns Ruderern sieht man sofort, wenn sich einer bei der Siegerehrung zu sehr freut. Und eure Individualität. Acht Tennisspieler haben acht verschiedene Wege zu einem Ziel, falls sie sich überhaupt über das Ziel einigen können. Wir Ruderer können nur geradeaus.  Ehrlich gesagt, manchmal bin ich richtig froh darüber.

Dein Ruderfreund

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