Beim Walken fehlt mir das Momentum

Früher war vieles einfacher. Ich ging oder lief. Manchmal rannte ich auch. Heute bin ich mir nicht mehr so sicher: gehe ich noch oder walke ich bereits? Vielleicht jogge ich auch schon und  merke es gar nicht.

Nachdem ich mir diese lebenswichtigen Fragen gestellt hatte, bin ich zur Beobachtung meiner sich bewegenden Mitmenschen übergegangen. Und es sind tatsächlich Unterschiede festzustellen. Männer walken grundsätzlich nicht. Männer gehen. Frauen dagegen walken gerne. Das erkennt man leicht an diesen völlig verkrampften Armbewegungen. Die muss man unbedingt beim Walken machen. Sieht nicht gut aus, soll aber gesund sein. Wir Männer machen diese verkrampften Armbewegungen auch. Aber nicht auf Waldwegen. Sondern auf roter Asche. Und  nennen es Tennis.
Die Steigerung von Walking ist Nordic Walking. Hat eine finnische Firma erfunden, die Gummistiefel herstellt. Und als der Absatz von Gummistiefeln einbrach, haben sie eben Gummistöcke draus gemacht. Und als Nordic Walking verkauft. So eine Geschäftsidee muss man haben.
Nordic Walking machen Männer auch nicht. Sieht man nie: einzelne Nordic Walker. Nur zusammen mit Frauen. Weil sie dazu gezwungen wurden. Die Männer. Von ihren Frauen. Denn das Rumgeschleppe dieser Gummistöcke sieht noch merkwürdiger aus als einfaches Walking. Und es soll wahnsinnig gesund sein. Hat die Gummistiefel-Firma allen eingebleut. Und für jede Walking-Technik gibt es verschiedene Stockspitzen, Teleskopauszüge mit Fernbedienung, Korkgriffe gegen schwitzige Hände und Kleidungsstücke, deren Namen ich nicht einmal aussprechen kann. Ich habe auch schon Walkerinnen mit Helm und Arm- und Knieschonern gesehen.  Ehe man sich beim Walken richtig angezogen und ausstaffiert hat, hatten wir früher den Spaziergang schon hinter uns. Ich bewundere diese Werbestrategen, die aus etwas, was man nicht braucht, eine ganze Industrie aus dem Boden gestampft haben. Was müssen wir Senioren für eine unglückliche Kindheit gehabt haben. Und wieso können wir bis ins hohe Alter Tennis spielen, obwohl wir nie gewalkt sind. Dafür wurden wir ab und zu verwalkt. Wir haben auch andere Dinge versäumt. Oder haben Sie früher jemals die „Seele baumeln“ lassen oder gar „gechillt“? Macht man heute so.
Gehen Ihnen manche Tennisbegriffe auch so auf den Geist? Vor zwei Jahren haben die Spieler „die Punkte liegen lassen“.   Letztes Jahr „ fehlten ihnen im dritten Satz die Körner“  und dieses Jahr gibt es keine Tennisübertragung, bei der nicht alle paar Minuten „das Momentum“ im Spiel ist.
Ich habe keinen blassen Schimmer, was das bedeutet. Also im Duden nachgeschaut. Gibt es nicht. Momentum, meine ich. Den Duden schon. Und was nicht im Duden aufgeführt ist, ist offiziell als Begriff nicht existent.   Wikipedia weiß mehr  : Momentum ist ein Filmtitel, ein Verfahren aus der Chartanalyse, eine Investmentgesellschaft, ein politisch-wissenschaftlicher Kongress in Österreich, englisch für die physikalische Größe Impuls und ein Buchtitel. Hat alles eher weniger mit Tennis zu tun.
Ein Ratgeber im Internet wusste zu berichten, dass schon Ivan Lendl das Momentum nutzte. Soweit ich weiß, nutzte der Sägespäne. Für seinen Schlägergriff.   Auf Teppichboden mussten nach jedem Satz die Platzwarte mit einem Staubsauger kommen, so viel Sägespäne verstreute Ivan. Aber er gewann und deshalb durfte er das. Streuen Sie mal Sägespäne in einer Tennishalle. Sie bleiben keinen Moment, über ein Momentum brauchen Sie nicht einmal nachzudenken. Federer hatte mehrmals ein Momentum. Aber niemals Sägespäne. Sägespäne kann also nicht das Momentum sein. Djokovic hatte neulich ein Momentum. In Paris. Gegen Nadal. Dann kam der Regen und weg war das Momentum. Nadal hatte es auf einmal.   Hängt das Momentum mit dem Wetter zusammen? Hat Claudia Kleinert ein Momentum? Oder hatte Kachelmann mal eines und jetzt hat es die Claudia?
So langsam glaube ich, so ein Momentum gibt es gar nicht. So wie Bielefeld.  Momentum- und Bielefeld-Verschwörung. Erfunden von demselben Mann.  Tennisreporter.  Weil ihm nichts anderes eingefallen ist. Seit diesem Zeitpunkt gibt es dieses neue Unwort. Und nicht einer traut sich zu sagen, dass dieser Begriff Unsinn ist. Außer mir natürlich. In diesem Augenblick. Denn gerade jetzt habe ich mein Momentum.

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