von Winfried Weidlich
Meine Frau kennt nur drei Typen von Männern.
Da sind die ganz Harten wie vor allem James Bond oder John McClane und vielleicht noch maximal ein Dutzend andere wie Chuck Norris, Jackie Chan oder der Terminator persönlich.
Die zweite Gruppe – die Möchte-gern-Starken – will hart und taff erscheinen. Sie tragen ihre Bandagen und Wadenwickel wie Trophäen und erzählen jedem, der es nicht hören will, dass sie trotz ihrer Verletzungen und Einschränkungen sich in den Dienst der Mannschaft stellen und natürlich das Letzte geben wollen. Aber sie werden nur bedingt ernst genommen.
Und dann gibt es solche wie mich. Ich bin nicht mal in der Lage, auch nur einen Anflug von Anschein von Härte erahnen zu lassen. Ich wirke wehleidig und scheine ständig um Mitleid zu heischen und ich merke das nicht einmal.
Aber von Beginn an.
Ich bin nicht unbedingt ein praktisch veranlagter Mensch. Beim Tischdecken fällt mir schon mal eine teure Porzellan-Platte runter. Wenn ich eine Glühbirne wechseln muss, kaufe ich gleich ein Dreier-Pack, weil mir die ersten beiden Ersatzbirnen in der Regel beim Auswechseln unter den Händen wegbröseln und beim Kärchern war ich 30 Minuten lang verzweifelt wegen des mangelnden Drucks des Wasserstrahles, bis mir meine Frau den Rat gab, doch einmal den Strom einzuschalten.
Natürlich – und wahrscheinlich auch völlig zu Recht – darf ich die Küche seit Jahren nicht mehr betreten. Ich habe meine Frau mit dem fehlerhaften Ein- und Ausräumen der Spülmaschine in den Wahnsinn getrieben, bin ihr mit meiner Fragerei nach den geheimnisvollen Ingredienzien, die sie benutzt, auf den Keks gegangen oder bin ihr einfach zu häufig, wie sie sagt, unnütz zwischen den Beinen herumgewuselt.
Neulich durfte ich ihr tatsächlich helfen. Stangenbrot schneiden. Natürlich erst nach eindringlicher Ermahnung, vorsichtig zu sein. Was konnte ich denn dafür, dass das Brotende so hart war, dass ich mit dem – zugegeben scharfen – Messer abrutschte und in meinem Daumen landete. Es fühlte sich an, als ob der Daumen, bis auf den Knochen durchtrennt, nur noch an einer Sehne hing. Jetzt weiß ich auch, wie Tarzan seinen Schrei gelernt hat. Und wie sich Schockstarre anfühlt. Mit letzter Kraft konnte ich auf meinen Daumen zeigen.
Die Frage meiner Frau: “Wo hast du dich geschnitten“ war nicht nur völlig überflüssig, sondern entbehrte in Verbindung mit dem Folgesatz: “Ich sehe nichts“ auch nicht einer gewissen Rohheit und Rücksichtslosigkeit.
Zugegeben, der Daumen hing an mehr als nur noch einer Sehne, der Knochen lag nicht wirklich offen, das Blut spritze entgegen meiner ersten persönlichen Wahrnehmung nicht in Strömen und es war tatsächlich keine riesige offene Wunde zu sehen, wie ich sie erspäht zu haben glaubte.
Es war tatsächlich wohl eher ein Kratzer – obwohl ich nach wie vor glaube, dass die Wunde sich in der Tiefe über den gesamten Daumen erstreckte und nur an der Oberfläche kaum etwas zu sehen war. Behauptete meine Frau. Dass nichts zu sehen war. Aber sie hatte ihre Kontaktlinsen nicht drin. Ich habe bekanntermaßen zum Glück unglaublich schnelles Heilfleisch und deshalb war vermutlich auf der Haut nach einer Spontan-Heilung nur ein Schnitt zu sehen. Sehr lang, wie ich meine. Der Schnitt. Für einen Virus ein Scheunentor. Für Herzlose wie meine Frau weniger als ein Millimeter und kaum sichtbar.
Und es blutete. Stoßweise. Wahrscheinlich sehr stark nach innen, denn außen sah man – sagen wir mal – keinen pulsierenden Schwall. Auch kein starkes Rinnen. Eher ein Tröpfeln. Oder noch genauer: einen Tropfen. Einen kleinen. Aber immerhin Blut. Meine Frau sah gar nichts.
Ich habe mich dann selbst verbunden. Es ist nicht einfach, mit nur einer Hand den Kofferraum des Autos zu öffnen, den Verbandskasten nach Verbänden zu durchsuchen und sich selbst mit einer Hand mehrere sterile Verbände anzulegen.
Beim Abendessen musste ich alles mit meiner Rechten machen, die linke Hand war nicht zu gebrauchen. Wie auch, mit Verbänden bis hin zum Ellenbogen.
Dass meine im allgemeinen sehr liebevolle und um mich besorgte Ehefrau nicht einmal andeutete, mich in die Notaufnahme zu fahren, hat mich etwas verstimmt, aber vermutlich sahen meine Verbände sehr fachgerecht aus.
Wider Erwarten fand ich am nächsten Morgen trotz dieser nicht leichten Verletzung keine Blutspuren in meinem Bett – obwohl ich wirklich gründlich nachgesucht habe. Hatte ich mich selbst wohl wirklich absolut perfekt verbunden.
Beim Frühstück, sie hatte wohl über Nacht noch einmal gründlich nachgedacht, verbot meine Frau mir – vermutlich aus Besorgnis wegen meines Blutverlustes – eine geplante Blutspende und legte vorsorglich meinen linken Arm in eine Schlinge.
Jetzt kann ich zwar weder Auto- noch Fahrradfahren, mir allein keinen Wein und kein Bier aufmachen und den Computer nur eingeschränkt bedienen – ich finde ihre Fürsorge einerseits sehr beruhigend, andererseits kann ich bei einer derartigen Verletzung diese Fürsorge auch erwarten.
Obwohl: nach einer Woche Arm in der Schlinge kommt mir so langsam der Gedanke, dass ich auf sehr subtile Weise von meiner Frau nicht wirklich ernst genommen werde.
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